Delegieren will gelernt sein
Wer von Ihnen, liebe Leser, fühlt sich als Garant? Niemand? Sie haben also keine Kinder? Sie fahren nicht Auto? Und Sie besitzen auch kein Gebäude? Oder gar eine überwachungsbedürftige Anlage, wie einen Aufzug?
OK, die Garantenrolle für die Kinder akzeptieren wir gerne. Und ja, auch beim Auto, beim Gebäude und der überwachungsbedürftigen Anlage erkennen wir nach einigem Überlegen die Betriebsgefahr. Aber wenn man kurz drüber nachdenkt, ist fast jeder von uns in irgendeiner Garantenrolle. Ganz sicher ist dies der Betreiber eines Gebäudes. Aber da geht es schon los: Wer ist das denn genau? Der Eigentümer, der Betrieb, der sich eingemietet hat, die Mitarbeiter dieses Betriebs? Alle – oder nur die Führungskräfte?
Tatsächlich ist jeder mit in der Betreiberverantwortung, der den tatsächlichen Handlungsablauf durch sein Handeln – oder Unterlassen (!) – beeinflussen kann. Im obigen Beispiel also alle drei Genannten: Eigentümer, Mieter und Mitarbeiter. Sie haben allerdings unterschiedliche Grade der Verantwortung – abhängig von den Eingriffsmöglichkeiten, dem billigerweise zu erwartenden Wissensstand und Erkenntnishorizont, den Vollmachten, dem Zugang u.v.a.m.
Wissen proaktiv beschaffen!
Ein professioneller Betreiber hat sich das Wissen über die spezifisch bei seinem Objekt bestehenden Gefährdungen proaktiv – mutwillig – zu verschaffen. Er muss dafür sorgen, dass diese Gefährdungen mindestens entsprechend dem Stand der allgemein anerkannten Regeln der Technik abgesichert werden.
Je nach Gefährdung und Risiko können auch strengere Maßstäbe angelegt werden. Bei Aufzügen beispielsweise ist der Stand der Technik maßgebend – das sagt die TRBS 3121 –, Sie kennen die Technischen Regeln für Betriebssicherheit ja schon aus meinen früheren Texten. Bei als noch gravierender bewerteten Gefährdungen (wie sie etwa im Infektionsschutzgesetz behandelt werden), kann auch der Stand von Wissenschaft und Technik als Maß der Dinge gelten.
Entsorgung von Pflichten
Aufgaben kann man delegieren. Aber mit der Aufgabe möchte man dann gleich auch die Verantwortung los sein. Aber (rechtswirksame) Pflichtenübertragung ist gar nicht so einfach. Delegieren bedeutet nicht die einseitige Zuweisung der Verantwortlichkeit an Dritte, sozusagen die Entsorgung von Pflichten.
Wichtig für den Betreiber ist, dass er die Annahme durch den Delegationsempfänger und die Umsetzung dokumentieren kann. Will der Betreiber die ihm obliegende Verantwortung rechtswirksam auf Dritte übertragen, liegt die Latte also hoch. Die Stolpersteine sind Auswahl, Anweisung, Umsetzungsmöglichkeit, Einweisung und – selbst dann noch – Kontrolle.
Natürlich ist das alles kein Problem, solange nichts passiert. Aber wenn etwas schiefläuft und ein Schaden eintritt, landen wir beim Thema "Haftung" und bei der Frage der Schuld(haftigkeit). Die Verantwortlichkeit für einen Schadenseintritt wird festgestellt und zugeordnet, und die sich ergebenden Rechtsfolgen treffen einen Verantwortungsträger.
Neue Richtlinie
Aus der Sicht des professionellen Facility Managements wird dies in der neuen Richtlinie VDI-MT 3810 Blatt 1 dargestellt. Sie soll helfen, Betriebssicherheit und somit Rechtssicherheit so weit zu erreichen, wie dieses durch ein fachkundiges, umsichtiges und besonnenes Handeln möglich ist.
Sie kennen die Richtlinienreihe VDI 3810 nicht? Sie gibt für die unterschiedlichen gebäudetechnischen Anlagen Empfehlungen für den sicheren, bestimmungsgemäßen, bedarfsgerechten, nachhaltigen Betrieb der technischen Anlagen. Die Richtlinien beschreiben die notwendigen Voraussetzungen zur Wahrnehmung der Betreiberpflichten, Betriebssicherheit der TGA-Anlagen, Wirtschaftlichkeit, Umweltverträglichkeit und enthalten weitere praktische Empfehlungen für das Betreiben einschließlich der Instandhaltung.
Für die Leser des LIFTjournals ist neben VDI-MT 3810 Blatt 1, die die Grundlagen beschreibt, besonders das Aufzugsblatt VDI 3810 Blatt 6 von Interesse.
Ihr Bernd Betreiber
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