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Vom Glück der Schaufelverkäufer

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Übernahmen von Aufzugsherstellern finden in der Branche immer wieder große Beachtung – vor allem der hohe Unternehmenswert. Warum ist dieser so viel höher als beispielsweise bei Komponentenherstellern?

Von Dr. Lars Watermann

Die Welt ist nicht gerecht. Das wurde mir einmal mehr klar, als ich kürzlich einen Blick in die Verkaufsunterlagen für einen Aufzug-Komponentenhersteller werfen durfte. Denn auf den ersten Blick kam mir die Bewertung viel zu niedrig vor. Das Neunfache des EBIT – ist das nicht viel zu wenig? Als Berater für Mergers & Acquisitions (M&A, also Fusionen und Übernahmen) zahlreicher Aufzugshersteller habe ich vor allem in den vergangenen zehn Jahren erlebt, dass bereits bei Erstangeboten dieser Multiplikator bei einem Mehrfachen dessen lag.

Verstehen Sie mich nicht falsch: Die Bewertungen der Komponentenhersteller sind völlig solide, der M&A-Markt dieser Industrie ist intakt. Es sind Bewertungen wie aus dem Lehrbuch, wie sie für 90 Prozent aller heimischen Unternehmen gelten. Was für die hohe Diskrepanz innerhalb ein und derselben Branche sorgt, sind vielmehr die außergewöhnlich hohen Bewertungen für die Hersteller.

Als ich über die Gründe für diesen unsichtbaren Graben nachgedacht habe, bin ich auf fünf Faktoren gestoßen, in denen sich die Aufzugshersteller deutlich von ihren Zulieferern unterscheiden. Und genau diese fünf Faktoren sind in meinen Augen der Hebel, mit dem hohe, strategische Unternehmenspreise durchgesetzt werden konnten.

1. Service-Gold

Zwei Standbeine sind besser als eines. Komponentenhersteller sind häufig auf die Lieferung der bestellten Teile beschränkt. Für Aufzugshersteller hingegen geht das Geschäft nach der Bereitstellung ihres Produkts erst so richtig los. Stichwort: Aftersales. Egal, ob Wartung, Notruf, Schachtentrauchung oder auch Reparatur und Störungsbeseitigung – die Betreiber schließen quasi ein Abonnement auf weitere Leistungen ab.

Besser geht es nicht, zumal Wartungsverträge durch regelmäßig lange Laufzeiten gekennzeichnet sind. Die Hersteller können wiederum auf Projektbasis entscheiden, welchem Lieferanten sie den Vorzug geben.

2. Modernisierungs-Potenzial

Die aktuelle Baukonjunktur in Deutschland ist ein Trauerspiel. Das bekommen die Aufzugshersteller hautnah zu spüren, und in der Folge natürlich auch die Komponentenlieferanten. Doch die Hersteller haben einen entscheidenden Vorteil: Sie können angesichts von rund 800.000 Bestandsanlagen auf Modernisierungen oder auf den Kompletttausch von Aufzügen setzen.

Dank dieser strategischen Option und gepaart mit dem "Parkuhren-Modell" im Service kommen sie gut durch schwere Zeiten, die für andere Branchen bisweilen lebensbedrohlich sind.

3. Regionale Verwurzelung

Komponenten lassen sich vergleichbar leicht verschicken. Komplette Aufzugsanlagen hingegen nicht, jedenfalls nicht ohne immense Kosten. Deswegen ist die Branche der Hersteller so dezentral aufgestellt, mit vielen mittelständischen Playern, deren Kunden vor allem in ihrem jeweiligen Umland zu finden sind.

Dank dieser Regionalität ist auch gewährleistet, dass Service-Techniker im Falle eines Falles immer schnell vor Ort sind. Diese Verwurzelung vor Ort macht Hersteller nur sehr schwer austauschbar.

4. Hochspezialisierte Fachkräfte

Ohne gut ausgebildete, erfahrene Monteure ist ein Aufzugshersteller nur die Hälfte wert. Aufgrund des Fachkräfte-Mangels reißt sich die Branche um die erfahrenen Experten. Bei vielen Übernahmen innerhalb der Hersteller-Branche habe ich bisweilen den Eindruck, dass es sich um sogenannte Acqui Hires handelt – also die Gewinnung von Fachpersonal durch den Kauf eines anderen Unternehmens.

Im Klartext: Der Wert für den Käufer liegt nicht nur in den Kundenbeziehungen und dem Know-how, sondern auch in dem hoch spezialisierten Personal, das er durch die Transaktion gewinnt.

5. Direkter Kundenzugang

Analog zum Thema Acqui Hire nutzen Käufer die Übernahme anderer Hersteller vor allem dazu, um ihre Kundenbasis zu erweitern. Denn Hersteller und deren Monteure haben – auch dank des Service-Geschäfts – einen sehr direkten, persönlichen Draht zu den Betreibern. Den kann in der Regel nicht einfach ein Dritter "abjagen". Deswegen ist es oft der eleganteste Weg, sich die Zugänge mittels der Akquise eines neuen Unternehmens zu sichern und auf diese Weise anorganisch zu wachsen.

Es gibt also eine Reihe von Gründen, die den auffälligen Unterschied in den Bewertungen von Aufzugsherstellern und ihren Lieferanten erklären. Um mal ein berühmtes Bild zu bemühen: Es ist der "Schaufelverkäufer", der am Goldrausch gut verdient, nicht der "SchaufelIieferant".

Man kann das mögen oder nicht, denn es erscheint manchem ungerecht, dass nicht ein wenig des Hersteller-Glanzes auf die Lieferanten abstrahlt. Doch wenn ein Käufer von einer Akquise überproportional stark profitieren kann, dann ist ein strategischer Preis zumindest zutiefst logisch.

Ihre Meinung ist gefragt

Wie sehen Sie das Thema? Teilen Sie meine Einschätzung oder sind Sie anderer Meinung? Kommentieren Sie gern auf der Webseite des LIFTjournals oder schreiben Sie mir eine Mail an vertraulich@watermann.ag. Ich freue mich auf eine lebhafte Debatte.

Der Autor ist Geschäftsführer der Watermann Agens GmbH und auf Firmentransaktionen in der Aufzugsbranche spezialisiert.


Weitere Informationen: watermann.ag

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