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Erdbebensicherheit in Österreich aus Sicht des Aufzugsverkäufers

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Die Erde bebt täglich, aber wir bekommen es oft nicht mit. Der Artikel zeigt die persönliche (humorvolle) Erfahrung des Schreibers mit der täglichen Herausforderung zum Thema Erdbebensicherheit in Österreich.

Von Gernot Einsiedler

Seit der Erscheinung der ersten Ausgabe der EN 81-77 (siehe Kasten unten) sind ein paar Jahre vergangen. Wir Österreicher haben hier – wie bei vielen Dingen – einen pragmatischen Ansatz: Die Norm ist erschienen, man hat sie begutachtet und festgestellt, dass das Risiko insgesamt gering ist, man in vielen Gebieten nur auf die Kategorie 0 kommt, in wenigen Gebieten auf die Kategorie 1. Der allgemeine Ansatz, den wir Österreicher in solchen Fällen haben: Wir lassen alles beim Alten und verteuern nichts.

Vor ein paar Jahren wurde das Thema hochgespielt und wie es so schön heißt "die Sau durchs Dorf getrieben", bis alle von der neuen Norm gewusst haben. Nun gibt es die einen Ausschreiber, die noch immer auf ihre alten Unterlagen schwören, beim Lesen ihrer Ausschreibungen fühlt man sich in die Kaiserzeit versetzt – Sissy & Franzl lassen grüßen. Die anderen sind die Übervorsichtigen.

Zwei Kategorien in Wien

Die Einteilung der Erdbebenzonen ist leider nicht einheitlich und es ist schwer den Bauträgern zu erklären, warum derselbe Aufzug an einem Ort mehr kostet als an einem anderen. Das beginnt in Wien, das zwei Kategorien hat, und wo eine Zweiteilung ist, gibt es auch eine Dreiteilung durch die Aufzüge im Bestand.

Das Wien geteilt ist / war, das ist bekannt. Im Osten von Wien sind wir i.d.R. in der Kategorie 0, ebenso im Bestand in Wien. Im Westen von Wien haben wir meistens die Kategorie 1. Dies zieht sich durch Österreich – ein paar Kilometer weiter kann der Aufzug in eine andere Kategorie fallen.

Übervorsichtige Statiker

Im Bestand gibt es Erleichterungen und der Erfüllungsgrad kann niedriger sein. Mancher Statiker ist jedoch übervorsichtig und fordert dann statt der tatsächlichen Kategorie 0 die Kategorie 1 anzuwenden. Da frage ich mich nach dem Grund: Ist das ein neuer ESG / Nachhaltigkeitsansatz? Soll der Aufzug vielleicht beim neuen Gebäude wiederverwendet werden? Das Gebäude stürzt zwar ein, aber der Aufzug bleibt erhalten???

Andere Planer haben schon von der Norm gehört. Sie glauben aber, dass mehr immer besser ist und schreiben ohne Grund die Kategorie 3 in die Ausschreibung. Die Baukosten trägt immer der Bauherr, er wundert sich nur, dass sie explodieren.

Zusammenfassend möchte ich erwähnen, dass die EN 81-77 sicherstellt, dass Aufzüge in erdbebengefährdeten Gebieten spezielle Sicherheitsanforderungen erfüllen, um bei einem Erdbeben die Sicherheit der Nutzer zu gewährleisten. In gefährdeten Gebieten können dadurch sogar Menschenleben gerettet werden. Ihre Anwendung zeigt aber: Zwischen Theorie und Praxis können manchmal Welten liegen – wahrscheinlich nicht nur in Österreich ...

Der Autor ist Vertriebsleiter der Aufzüge Friedl GmbH in Österreich.

Die Aufzugsnorm für erdbebensichere Aufzüge: Die Aufzugsnorm EN 81-77 für erdbebensichere Aufzüge wurde speziell entwickelt, um die Sicherheit von Aufzügen in erdbebengefährdeten Gebieten zu gewährleisten. Diese Norm legt Anforderungen fest, die von Herstellern und Betreibern von Aufzügen eingehalten werden müssen, um sicherzustellen, dass der Aufzug bei einem Erdbeben sicher ist.

Die Norm basiert auf der EN 1998-1 (Eurocode 8), die die Auslegung von Bauwerken gegen Erdbeben behandelt. Sie legt besondere Vorkehrungen und Sicherheitsregeln für Personen- und Lastenaufzüge fest, wenn diese Aufzüge dauerhaft in Gebäuden eingebaut sind, die der EN 1998-1 (Eurocode 8) entsprechen.

Ein erdbebensicherer Aufzug nach EN 81-77 muss verschiedenen Anforderungen gerecht werden, wie z. B. der Fähigkeit, horizontalen Verschiebungen und Rotationen standzuhalten, um den Nutzern eine sichere Evakuierung zu ermöglichen. Zusätzlich müssen bestimmte Komponenten des Aufzugssystems, wie etwa die Führungsschienen, Seile und Befestigungen, verstärkt werden, um den erhöhten Belastungen während eines Erdbebens standzuhalten.

Die Norm definiert vier Kategorien in Abhängigkeit von der berechneten Bemessungsbeschleunigung. Die Bemessungsbeschleunigung wird aus den folgenden Parametern berechnet:
• Beschaffenheit des Bodens,
• Höhe des Gebäudes und Höhe der Komponenten im Gebäude,
• Bodenbeschleunigung des Erdbebens,
• Schwingungsdauer der Komponenten des Gebäudes und
• Zusatzfaktoren.

Die Norm definiert vier Kategorien der Widerstandsfähigkeit gegen Erdbeben:
- Kategorie 0: Bemessungsbeschleunigung ≤ 1 m/s². Anforderungen von EN 81-20 und EN 81-50 ausreichend, keine zusätzlichen Maßnahmen erforderlich.
- Kategorie 1: 1 < Bemessungsbeschleunigung ≤ 2,5 m/s². Maßnahmen gegen Erdbeben erforderlich.
- Kategorie 2: 2,5 < Bemessungsbeschleunigung ≤ 4 m/s². Zusätzliche Maßnahmen zu Kategorie 1 erforderlich.
- Kategorie 3: Bemessungsbeschleunigung > 4 m/s². Zusätzliche Maßnahmen zu Kategorie 1 und Kategorie 2 erforderlich.

Geht es um die Anwendung der Norm in Österreich, muss beachtet werden, dass sie für alle Gebäude gilt, die nach dem Inkrafttreten der Norm errichtet wurden. Für bestehende Gebäude, die vor dem Inkrafttreten der Norm errichtet wurden, können zusätzliche Erleichterungen gelten.

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