Eine Sitzung des Europäischen Gerichtshofs (Große Kammer).

Eine Sitzung des Europäischen Gerichtshofs (Große Kammer). (Foto: © Gerichtshof der Europäischen Union)

EuGH: Normen müssen kostenlos sein

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Normen, die EU-weit die Standards für Produkte festlegen, müssen Bürger jederzeit gratis lesen können, hat der Europäische Gerichtshof entschieden.

Von Anne Kieserling

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat entschieden, dass harmonisierte technische Normen, die Standards für Produkte festlegen, Teil des EU-Rechts sind. Deshalb müssten sie frei und kostenlos zugänglich sein.

Der Fall

Es ging um harmonisierte technische Normen (HTN) für Spielzeugsicherheit. Zwei Unternehmen forderten freien Zugang zu ihnen. Derzeit können Firmen und Privatpersonen solche HTN in der Regel nur von den Normungsorganisationen – wie dem Deutschen Institut für Normung (DIN) in Deutschland – kaufen.

Die EU-Kommission verweigerte den freien Zugang und argumentierte, dass harmonisierte Standards urheberrechtlich geschützt seien.

Das Urteil

Die HTN für Spielzeugsicherheit sind ein Teil des Unionsrechts, entschieden die Europarichter. Und weil dies so sei, hätten Bürger nach Art. 2 der Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 (Verordnung über den Zugang der Öffentlichkeit zu EU-Dokumenten) einen Anspruch auf freien Zugang zu ihnen.

Die EU-Bürger sollten die wichtigen Normen kennen, um über ihre Rechte und Pflichten Bescheid zu wissen. Auch können sie so überprüfen, ob ein Produkt oder eine Dienstleistung den Anforderungen entspricht.

Öffentliches Interesse sticht Urheberrecht

Die Bedenken der EU-Kommission zum Urheberrecht teilte der EuGH nicht. Laut der Verordnung EG Nr. 1049/2001 könne der öffentliche Zugang zu einem Dokument zwar verweigert werden, wenn dadurch geschäftliche Interessen einer Person beeinträchtigt würden.

Das größere öffentliche Interesse an der Veröffentlichung gehe hier aber vor. Der EuGH hat in seinem Urteil ausdrücklich offengelassen, ob HTN urheberrechtlich geschützt sind.

Große Auswirkungen auf die Wirtschaft?

Die europäischen und nationalen Normungsorganisationen, die Normungsverfahren durchführen – etwa die DIN in Deutschland – verkaufen derzeit die Normen an die Wirtschaft. Ihr Geschäftsmodell ist durch das Urteil infrage gestellt, denn sie könnten danach zu einer kostenlosen Abgabe verpflichtet sein. DIN und DKE sehen das Urteil entsprechend kritisch. Sie sind der Ansicht, dass es die Risiken für die privatwirtschaftliche Normung und die Folgen für die Unternehmen nicht ausreichend berücksichtigt.

Die Wirtschaftskanzlei Morrison Foerster, die das Urteil erstritten hat, ist überzeugt, dass es "weit über den konkreten Rechtsstreit hinaus große Auswirkungen haben wird". Die EU-Kommission müsse nun freien Zugang zu allen harmonisierten Normen gewähren, schreibt die Kanzlei in ihrer Pressemitteilung. Dies erfordere "eine völlige Neuordnung des europäischen Normungssystems".

Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 5. März 2024, Az. C-588/21 P

Die Autorin ist Juristin und Fachredakteurin bei der Verlagsanstalt Handwerk.

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