Aufzugsbranche: "Uns fehlen gute Leute!"
Der Fachkräftemangel ist in der Aufzugbranche ein Dauerbrenner. Hat die Corona-Krise etwas daran geändert? Wo liegen die Ursachen? Wir haben dazu Andreas Hönnige befragt.
Hönnige ist Geschäftsführer der VFA-Akademie, deren Aufgabe die Aus- und Weiterbildung in der Aufzugstechnik ist. Seit 2019 leitet er die Working Group Safety, Education & Training bei der European Lift Association (ELA). Hönnige ist Geschäftsführender Gesellschafter des Unternehmens Liftcore – einem Technologieanbieter für die Aufzugsbranche.
Schindler hat vor einiger Zeit angekündigt, weltweit 2.000 Stellen abzubauen: Ist der Fachkräftemangel in der Aufzugsbranche in Zeiten der Corona-Pandemie noch ein Thema?
Hönnige: Der Fachkräftemangel wird unabhängig von der konjunkturellen Lage ein Thema bleiben, da sich aufgrund der technologischen Entwicklung und sich verändernder Marktanforderungen auch die Anforderungen an Fachkräfte laufend verändern werden. Ein Stellenabbau in großen Unternehmen und die damit verbundene höhere Anzahl von Fachkräften am Arbeitsmarkt, kann den Fachkräftemangel nur regional und für kurze Zeit beheben.
Andreas Hönnige. Foto: © VFA-InterliftIst die Lage unterschiedlich in der Branche oder leiden alle – vom Aufzugbauer bis zum Komponentenhersteller?
Hönnige: Die Tätigkeiten und somit auch die erforderlichen Kenntnisse der Fachkräfte unterscheiden sich bei einem Aufzugsbauer und bei einem Komponentenhersteller oft erheblich. Der Mangel an qualifizierten Fachkräften betrifft tatsächlich alle in unserer Branche.
Wo liegen die Ursachen?
Hönnige: Die Aufzugsbranche ist verhältnismäßig klein und medial nicht sehr präsent. Sie wird von Berufs- und potenziellen Quereinsteigern nicht so leicht als interessante berufliche Option wahrgenommen. Wichtig ist es, die Aufzugsbranche als attraktiv und zukunftsfähig über alle wirksamen Medien in die Köpfe zu bekommen.
Wird sich mittelfristig die Lage entspannen, weil durch die Krise der Automobilindustrie und ihrer Zulieferer Arbeitskräfte auf den Markt kommen?
Hönnige: Wenn Firmenchefs über Fachkräftemangel in ihren Betrieben sprechen fällt oft die Aussage: "Uns fehlen gute Leute". Gemeint sind damit Fachkräfte, die für ihre Tätigkeit hoch qualifiziert, motiviert, leistungsstark und möglichst erfahren sind. Freiwerdende Fachkräfte z. B. aus der Automobilindustrie und ihren Zulieferern erhöhen die Chance, motivierte und leistungsbereite Fachkräfte zu finden. Durch gezielte Weiterbildung und die Einarbeitung in die Aufzugsbranche kann sich der Mangel an qualifizierten Fachkräften durchaus für manche Unternehmen entspannen.
In Europa beneiden uns viele um unser duales Ausbildungssystem. Wäre die Situation besser, wenn es einen eigenen Ausbildungsberuf für die Aufzugsbranche gäbe?
Hönnige: Einen Ausbildungsberuf speziell für Aufzüge, z. B. Aufzugsmonteur oder Aufzugstechniker, würde in jedem Fall die Wahrnehmung für die Aufzugsbranche als Berufsoption erhöhen und somit zur Verbesserung der Situation beitragen. Tatsächlich gibt es bestehende Ausbildungsberufe, die bereits eine große inhaltliche Überlappung mit den Anforderungen für Aufzüge haben. Gegenüber den Kammern müsste dazu noch die im Ausbildungszeugnis bescheinigte Spezialisierung bzw. Vertiefung in die "Fachrichtung Aufzugsbau" durchgesetzt werden.
Foto: © Konstantin Pelikh/123rf.comWie können sich mittelständische Unternehmen gegen die Konkurrenz der Konzerne behaupten, wenn sie Mitarbeiter mit Gehältern abwerben, die sie selbst nicht zahlen können?
Hönnige: Geld ist nicht alles. Für viele Beschäftigten sind weiche Faktoren ebenfalls wichtig, wie z. B. Flexibilität, Weg zum Arbeitsplatz, Verhältnis zu Kollegen und Vorgesetzten, Wertschätzung, etc. Auch die Mittelständler können ihre Stärken selbstbewusst beim Recruiting einsetzen. Dazu kommt, dass auch im Mittelstand durchaus gut bezahlt wird.
Seit Anfang 2019 sind Sie Vorsitzender des "Safety, Education and Training Committee". Welches Ziel hat die Arbeitsgruppe – was muss auf europäischer Ebene geschehen?
Hönnige: Kurz zusammengefasst sind die beiden Hauptziele des Komitees erstens die Definition praxisgerechter Regeln für das sichere Arbeiten an Aufzügen und auch für deren sichere Nutzung, und zweitens die Definition der Fachkenntnisse, die nach jeweiliger Tätigkeit in der Aufzugsbranche mindestens erworben werden müssen. Beim Thema Sicherheitsregeln sind wir mit der "Sicherheitsbroschüre" der ELA, die übrigens bald in überarbeiteter Version verfügbar sein wird, auf einem guten Stand. Beim Thema Qualifizierung haben nur wenige Länder in Europa eine strukturierte Aus- und Weiterbildung zu bieten. In Deutschland sind wir glücklicherweise durch das Angebot der VFA-Akademie sehr gut aufgestellt. Unsere Erfahrungen in Deutschland helfen uns nun, einen Mindest-Qualifizierungslevel für Europa auf den Weg zu bringen.
Was berichten die Mitglieder über die Situation in Europa?
Hönnige: Der Fachkräftemangel ist ein europäisches, wenn nicht weltweites Thema. "Gute Leute" sind überall gesucht und willkommen.
Die Fragen stellte Ulrike Lotze
Weitere Informationen: vfa-akademie.de
ela-aisbl.eu
Kommentar schreiben