Das Interview mit einem Mann, der schlecht Nein sagen konnte und dem andere mehr zutrauten als er sich selbst.
Der damalige Vorsitzende des VDMA-Fachverbands Aufzüge und Fahrtreppen, Albert Schenk, verabschiedet Wolfgang Adldinger 2018. Foto: © LIFTjournal / Ulrike LotzeEinige aus der Branche haben daran gezweifelt, ob Sie es tatsächlich schaffen, in Ruhestand zu gehen. War dieser Schritt wirklich so schwer für Sie?
Adldinger: Ich habe die Entscheidung immer wieder verschoben, es war wirklich nicht leicht. Eigentlich hatte ich geplant, mich Ende 2017 nach 45 Berufsjahren zu verabschieden. Ich glaube, wenn meine Frau nicht gewesen wäre, hätte ich diesen Schritt jetzt noch nicht gemacht – obwohl mich das Thema schon verfolgt, seitdem ich vor sieben Jahren bei Wittur ausgestiegen bin.
Nach dem Ausscheiden bei Wittur habe ich ja angefangen für den VFA zu arbeiten und meine eigene Firma gegründet, einfach weil immer wieder verschiedene Unternehmen auf mich zugekommen sind und gefragt haben, ob ich sie nicht unterstützen kann. Als ich dann die endgültige Entscheidung letztes Jahr verkündet habe, waren die Reaktion heftig, aber auch sehr unterschiedlich. Manche konnten es nicht verstehen, andere wiederum haben mich in der Entscheidung bestätigt und mir gesagt, dass ich das Leben genießen soll.
Ich bin auch aus dem VFA ausgetreten, denn wenn ich in dem Verband geblieben wäre, würden auch weiterhin die Mitglieder mit ihren Fragen und Problemen auf mich zukommen. Das war noch mal ein Schritt, der mir sehr schwergefallen ist.
Letztlich haben aber die eigene Vernunft und die Argumente von meiner Frau gesiegt. Sie müssen bedenken: Bei Wittur und z.T. schon bei Kone hatte ich meine 75-80-Stunden-Woche. Ich habe jede Woche, fast jeden Samstag und auch viele Sonntage gearbeitet. Über Jahrzehnte habe ich nicht gerade viele Tage Urlaub gemacht, einfach weil ich die Notwendigkeit gesehen habe und oft nicht Nein sagen konnte.
Auch auf europäischer Ebene war er sehr aktiv: Wolfgang Adldinger im Gespräch beim ELCH 2018. Foto: © LIFTjournal / Ulrike LotzeWas ist das Geheimnis Ihres Erfolges?
Adldinger: Ich glaube, dass ich den Aufzugsbau von der Pike auf gelernt habe. 1972 habe ich bei der MAN Technischer Zeichner gelernt. Von 1975 bis 1978 hat mich die MAN z.T. freigestellt und ich konnte in die Konstruktionsschule gehen. Ein guter Freund hat damals bei einem Aufzugsbauer gearbeitet, die haben einen Gruppenleiter für die mechanische Antriebstechnik gesucht. Das war mein Einstieg in die Aufzugsbranche. Anfang 1981 bin ich dann zu dem Familienbetrieb "Bauer Aufzug" in Augsburg als Gruppenleiter für die technische Antriebstechnik gewechselt. Dort habe ich auch u.a. auf der Montage, dem Service, der Modernisierung und in der Fabrik gearbeitet. Zu dieser Zeit war Hermann Graber technischer Prokurist der Firma und Aufzug Bauer war mit damals seinen vielen Mitarbeitern ein sehr großer Mittelständler, der im In- und Ausland aktiv war. Herr Graber hat mich an die Hand genommen und von ihm habe ich den Aufzugsbau gelernt.
1985 im April wurde Bauer von Kone gekauft. Kone in Finnland hat mit mir Kontakt aufgenommen, weil ich der Spezialist für die Antriebstechnik war. Ich sollte den Bereich Antriebstechnik bei Kone in Deutschland, Österreich und die Schweiz aufbauen und die Schneckengetriebe aus Finnland hier auf den Markt bringen. Ich glaube, Teil meines Erfolges war es, dass andere mir oft mehr zugetraut haben als ich mir selbst.
Von 1988 bis 1990 hatte ich die Aufgabe, gemeinsam mit zwei finnischen Kollegen und einem großen weltweiten Team, einen Standard-Aufzug für ganz Europa zu entwickeln und auf den Markt zu bringen. Dabei ging es nicht nur um das Produkt, sondern auch um die Verkaufsstrategie, Logistik, Montage, TÜV-Abnahme, Inbetriebnahme und Themen wie Marketing und Kostenplanung/Gewinn. Dadurch hat sich mein Horizont besonders für Europa erweitert und ich habe viele Lieferanten und Produkte kennengelernt.
Von 1991 – Mitte 1994 war ich dann bei Kone in Deutschland für die Modernisierung tätig.
2022 als Moderator des VFA-Forums – hier mit René Hermann (Schindler) und Esfandiar Gharibaan (Kone). Foto: © LIFTjournal / Ulrike LotzeWann und wie ist denn dann Wittur ins Spiel gekommen?
Adldinger: Bei Wittur habe ich am 1. Juli 1994 angefangen und bin dort bis Ende 2017 geblieben. Ich wäre wahrscheinlich auch noch länger geblieben, wenn ich meine Arbeitszeit hätte reduzieren können. Bei Wittur war ich anfangs in Deutschland verantwortlich für den ganzen Bereich Industrie mit den Abteilungen Entwicklung, Konstruktion, Arbeitsvorbereitung, Produktion sowie Materialwirtschaft. Die Hälfte meiner Arbeitszeit habe ich dafür eingesetzt, die anderen 50 Prozent, um Wittur zu einer Weltmarke im Komponentenbusiness zu machen, das war die Idee von Horst Wittur, das hatte mich gereizt und war der eigentliche Grund, warum ich von Kone zu Wittur gewechselt bin.
2019 mit Ehefrau Hermine (links) und Nicole Heine (VFA). Foto: © LIFTjournal / Ulrike LotzeWelche Funktion hatten Sie bei Wittur zum Schluss?
Adldinger: Zum Schluss war ich der Technical Corporate Director Lift und Norms weltweit. Ein paar Mal war ich in den Jahren 2005 – 2006 kurz vor einer Entlassung, aber das war mir egal. Als Wittur leider finanziell auf eine schiefe Ebene geriet, bekam ich es das erste Mal in meinem Berufsleben mit Vertretern von Insolvenzverwaltern, Interimsmanagern und Finanzinvestoren zu tun. Ihnen sollte ich die Mitarbeiter nennen, die ich entlassen musste – das wollte ich nicht, aber mir ist nichts anderes übriggeblieben. Von 50 Leuten in Deutschland musste ich 49 entlassen. Ich glaube, das hat mich einige Jahre meiner Lebenszeit gekostet.
Bei Wittur machte ich dann eine steile Karriere, weil ich mich überall etwas auskannte. Außerdem war ich vernetzt mit den großen Unternehmen der Branche. Ich kannte den ganzen Aufzugsmarkt und mich hat immer schon das Thema Statistiken, Märkte, Technologien und Trends interessiert. Dazu kam, dass im Jahre 2006 Horst Wittur aus seinem Unternehmen ausscheiden musste. Damals haben die Finanzinvestoren das Unternehmen übernommen, in den folgenden Jahren gab es immer wieder Eigentümerwechsel. Irgendwann habe ich aber kapiert, dass es auch ganz interessant ist, die Vorgehensweise von Finanzinvestoren kennenzulernen, welche Strategie sie verfolgen. Und irgendwann haben sie mal mitbekommen, wie groß mein Netzwerk ist – weltweit, in der Großindustrie und im Mittelstand.
Die Normungsarbeit habe ich schon von Anfang an gemacht, schon bei Bauer Aufzug. Das ging bei Kone so weiter, als ich mich für den Bau eines komplett neuen Aufzugs für Europa mit den neuen Richtlinien und Normen beschäftigen musste. Das hat mir immer schon gefallen.
Bei Wittur kam dieses weltweite Thema dann ungefähr 2003 oder 2004 auf mich zu. 2004 war ich als Technischer Direktor für das ganze TÜV-Wesen verantwortlich. Bei der Tätigkeit ging es natürlich viel um Normen und Vorschriften, Zertifizierungen, Patente und Marken sowie Handelsprodukte. Anfang 2001 kam ich dann auch noch über die deutschen Komitees und Wittur in die europäischen Aufzugsverbände, zur EEA, zur ELA und über die ELA zum CEN/TC10 und zu EU-NB-L.
Auch auf den Heilbronner Aufzugstagen war er Stammgast, hier 2017 mit Holger Klaus von Kronenberg. Foto: © LIFTjournal / Bettina Heimsoeth Nach ihrem Ausscheiden bei Wittur haben Sie die vergangenen Jahre fast komplett dem Mittelstand gewidmet. Warum?
Adldinger: Ich kannte aus meinen früheren Tätigkeiten schon den VFA-Vorsitzenden Achim Hütter, der sich intensiv auf deutscher und europäischer Ebene engagiert hat und das heute noch mit Erfolg macht. Er hat mich gefragt, ob ich mir nicht vorstellen könnte, den VFA in nationalen und europäischen Aufzugsverbänden und Aufzugskomitees zu unterstützen. Das war die Tätigkeit, die ich vorher als Wittur-Delegierter innehatte. Wenn sie den Mittelstand und die Komponentenindustrie nach oben bringen wollen, dann müssen sie in den wichtigen Komitees des CEN, der ELA und der NB-L vertreten sein. Dadurch bekommt man Informationen und kann auch selbst mitbestimmen und gestalten.
Während meiner Zeit bei Wittur war ich nicht nur im VFA, sondern auch im VDMA. Über den VDMA hatte ich Kontakt zu den großen Aufzugbauern und über den VFA zu den kleineren und mittleren Aufzugsbauern und zu den Komponentenfirmen. Normalerweise wollte ich ab 2018 nichts mehr machen. Ich hatte so lange gearbeitet! Dann kam nicht nur Achim Hütter, sondern es kamen auch noch verschiedene Mittelstandsfirmen aus dem süddeutschen Raum aber auch aus Europa auf mich zu, die ich seit Jahrzehnten kannte. Sie haben gefragt, ob ich sie nicht unterstützen könnte. Das hat sich dann unter den Aufzugsfirmen rumgesprochen. Somit habe ich die "AD-LIFT service" gegründet und damit hat sich meine Arbeit für den Mittelstand ergeben, ich wollte ihn unterstützen.
Das kann natürlich mit meiner sozialen Ader zusammenhängen, aber ich habe auch in Strategiegespräche mitbekommen, was die Groß-Industrie für die Zukunft plant und wie sie die Rolle des Mittelstands sieht. Auch in anderen Industrien wird der Mittelstand häufig aufgekauft, aber dass es mal so massiv kommt, habe ich nicht vermutet.
Auf der interlift 2019 im Gespräch mit VFA-Vorsitzenden Achim Hütter. Foto: © LIFTjournal / Ulrike LotzeWo sehen Sie mit Blick in die Zukunft die besonderen Herausforderungen für den Mittelstand?
Adldinger: Es sind drei Bereiche: Normen & Vorschriften, Strategie und die technische Entwicklung – da spielt die Globalisierung eine große Rolle. Es wird weiterhin mittelständische Unternehmen und Komponentenhersteller geben. Die Großindustrie wird sich nicht mehr mit Aufzügen und Fahrtreppen allein begnügen, wenn sie weiterhin wachsen will. Sie wird sich mehr und mehr um das Gebäudemanagement kümmern. Die Förderanlagen sind Teil des Gebäudemanagements und wenn ich strategisch denke, dann geht es um den Betrieb des gesamten Gebäudes – dazu gehört zum Beispiel der Zutritt, die Heizung, Klima und Sanitär.
Für verschiedene Komponentenlieferanten und kleinere Aufzugsbauer wird es schwieriger werden, die vielen globalen und nationalen normativen Vorgaben zu erfüllen. Wenn der Mittelstand sich nicht damit beschäftigt, verliert er den Anschluss an die neuen Technologien – ich nenne nur mal die Stichworte Digitalisierung oder künstliche Intelligenz.
Ich vermute, ganz große mittelständische Aufzugsbauer wird es in Deutschland zukünftig nicht mehr geben, vielleicht noch Schmitt + Sohn. Ich glaube die Nachfolgegenerationen, also die Kinder der Unternehmensgründer, wachsen in einem gewissen Wohlstand auf. Wenn man sein Aufzugsunternehmen verkauft, kann man ja auf einem gewissen Niveau leben und ich glaube, deshalb werden immer mehr mittelständische Aufzugfirmen ihre Unternehmen verkaufen. Andererseits können durch diese Firmenverkäufe auch wieder kleine Service-, Wartungs- und Modernisierungsunternehmen entstehen.
Wolfgang Adldinger auf der interlift: 2023 im Gespräch mit Riza Latif (Fupalift). Foto: © LIFTjournal / Ulrike LotzeDas rechtliche Thema Normen, Vorschriften, Richtlinien, Verordnungen, Gesetze ist auch etwas, womit sich der Mittelstand und die Komponentenindustrie noch viel zu wenig beschäftigt, ein weiteres Thema sind die Patente. Die Großindustrie patentiert aus strategischen Gründen wahnsinnig viel. Von 2014 bis 2021 stieg die Zahl der Patentveröffentlichungen weltweit von 800 auf 1600 jährlich an, – davon kommen 80 Prozent von den großen Aufzugsfirmen. Die patentieren neuartigen technologischen Lösungen, stellen den intelligenten Mittelstand und die Komponentenhersteller oft vor große Herausforderungen.
Auch die Globalisierung wird in der Aufzugsbranche zunehmen, vor allem durch die neuen internationalen Aufzugsnormen, wie die (EN) ISO 8100-1/2. Dadurch kann man die gleichen Produkte künftig weltweit verkaufen und auf den Markt bringen. Bis zum Jahr 2030 kommen so viele neue Normen und Gesetze – wer da nicht up-to-date bleibt, hat verloren.
Mit diesen Herausforderungen beschäftigt sich der Mittelstand noch zu wenig - vielleicht, weil es der Branche aktuell noch zu gut geht.
Wolfgang Adldinger: Von seinen 52 Berufsjahren hat der 68-Jährige 43 Jahre in der Aufzugsbranche verbracht. Adldinger machte eine Ausbildung im Dieselmotorenbau bei M.A.N. Augsburg und anschließend einen Abschluss bei der IHK als Maschinenbau-Konstrukteur. Im Jahre 1981 ging er zu Bauer Aufzug als Leiter der Aufzugs-Antriebstechnik. Ab Mitte 1985 war er für KONE in Deutschland tätig und übernahm dort unterschiedlichste Management-Positionen in den Bereichen Engineering, Entwicklung und Methodik, TÜV-Wesen sowie Aufzugsmodernisierung.
Von 1994 bis 2017 war Adldinger bei der Wittur-Gruppe beschäftigt. Zuerst als Bereichsleiter Industrie in Deutschland und anschließend als Direktor Technik in der Wittur Holding GmbH mit weltweiter Verantwortung für die Bereiche Normung und Vorschriften, Zertifizierungen, Patente & Marken, Trends & Technologien sowie Aufzugsverbände und technische Aufzugskomitees. Im Anschluss daran war er als Technical Corporate Director Lift & Norms global aktiv.
Seit dem 1. Januar 2018 war Adldinger aktiver Rentner und in seinem Unternehmen der "AD-LIFT service" als Elevator Technology Consultant tätig. Zusätzlich übernahm er von 2019-2023 beim VFA-Interlift die Position als Referent Market & Trends. Er war jahrzehntelang Mitglied bei zahlreichen nationalen sowie internationalen Aufzugsverbänden wie VFA, VDI, ELA sowie in technischen Aufzugsgremien wie z.B. EU-NB-L und CEN/TC10 tätig.
Wolfgang Adldinger engagierte sich auch als Mitglied im Beirat des LIFTjournals. Anfang 2024 ging er endgültig in den Ruhestand.
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