Abschied vom Mittelstand?
Ein kleiner oder mittelständischer Aufzugsbauer verkauft sein Unternehmen an einen Konzern – solche Meldungen häufen sich in letzter Zeit. Was steckt dahinter und wie sollte die Aufzugsbranche reagieren? Muss sie gar Abschied vom Mittelstand nehmen?
Von Ulrike Lotze
Lechner Aufzüge, Kasper-, Hildebrandt- und Dany Aufzüge, die Berchtenbreiter GmbH Maschinenbau-Aufzugtechnik – das sind die Verkäufe, die allein in den ersten Monaten 2024 bekannt wurden. ATB Aufzugtechnik, ATH Aufzüge, ATD Aufzüge Dasberg GmbH, die Darmstädter Aufzugtechnik GmbH und die Holter Aufzüge GmbH – sie wurden 2023 von einem der vier großen Aufzugskonzerne übernommen. Besondere Aufmerksamkeit erregten in jüngster Zeit die Verkäufe von M.S. Aufzüge und Grädler Fördertechnik sowie Osma – letzterer trennte sich allerdings nur von vier seiner Niederlassungen in Süddeutschland.
Vermutlich sind es noch mehr, doch nicht alle möchten den Verkauf ihres Unternehmens öffentlich machen, aber das Ende der Fahnenstange ist mit Sicherheit noch nicht erreicht. Diese Entwicklung gibt es natürlich nicht nur in Deutschland – so wurden in den letzten Jahren zum Beispiel Uniheis (Norwegen) und Flügel-Aufzüge (Österreich) übernommen. Ganz aktuell hat Assa Abloy sein Aufzugswartungsgeschäft Paca Ascenseurs (Paca) in Frankreich verkauft.
Die Motive sind so unterschiedlich wie die Unternehmen, die wichtigsten skizziert Udo Niggemeier, Vorsitzender der Vereinigung mittelständischer Aufzugsunternehmen (VmA), in seinem Kommentar. Was man nicht übersehen sollte: So zahlreich die Verkäufe in der letzten Zeit waren und so zahlreich sie in der Zukunft sein werden, ist die Zahl der Unternehmer, die nicht verkaufen wollen, vermutlich immer noch höher.
Optimistisch und zufrieden
Die Firmengebäude des mittelständischen Aufzugshersteller Braun Aufzüge in der Nähe von Kassel. Foto: © Industrie- und Architekturfotografie Ali MoshiriEin Beispiel von vielen ist Tobias Braun. Gemeinsam mit seiner Schwester Pamela Schmidt und seinem Schwager Joachim Schmidt führt er den mittelständischen deutschlandweit tätigen Aufzugshersteller Braun Aufzüge in Zierenberg bei Kassel. "Warum sollten wir verkaufen? Wir haben unser Unternehmen gemeinsam mit unseren Mitarbeitern mit viel Energie aufgebaut und gehen davon aus, dass wir alle zusammen in Zukunft noch mehr als jetzt die Früchte unserer Arbeit ernten werden."
Tobias Braun blickt trotz aller aktuellen Herausforderungen nicht nur optimistisch in die Zukunft, sondern ist auch mit der aktuellen Situation des Unternehmens mit seinen 80 spezialisierten Mitarbeitern zufrieden: "Es läuft gut, weil wir ein Familienbetrieb sind und alle Bereiche des Aufzugbaus von der Konstruktion über die Produktion, die Montage und den Service im eigenen Unternehmen abdecken und damit schnell und flexibel auf alle Anforderungen unserer Kunden reagieren können. Einer unserer Schwerpunkte ist der Komplettaustausch von Anlagen, und das ist aus unserer Sicht der Markt der Zukunft."
"Ein großes Stück Lebensinhalt"
Doch es sind nicht nur die reinen Zahlen, die den 46-jährigen Maschinenbauingenieur und seine Schwester antreiben. Sie haben das Unternehmen von ihrem Vater übernommen, der es Mitte der Achtzigerjahre gründete und dafür seine leitende Position bei einem großen Aufzugshersteller aufgab. "Wir identifizieren uns mit unserer Firma. Wir sind mit ihr aufgewachsen, sie ist ein großes Stück Lebensinhalt."
Die Familie habe viel Zeit, Energie und Geld in den Aufbau des Unternehmens mit seinen modernen Produktionsflächen und -maschinen investiert – "Sollen wir das einfach über Bord werfen und dem Schicksal ungewisser Konzernstrategien überlassen?"
Aufzugsbranche nach wie vor Wachstumsbranche
Natürlich seien die politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen momentan herausfordernder als in den Jahrzehnten zuvor, auch der Wandel vom Arbeitgeber- zum Arbeitnehmermarkt sei nicht einfach, räumt Tobias Braun ein. Doch die aktuelle Marktkonzentration habe auch Vorteile für den Mittelstand, da die Zahl der Marktbegleiter dadurch kleiner werde und die Kunden zunehmend konzernunabhängige Anbieter bevorzugten.
"Außerdem ist die Aufzugsbranche nach wie vor eine Wachstumsbranche. Das liegt nicht nur am demografischen Faktor, sondern auch am hohen Alter der Anlagen in Deutschland und der sich abzeichnenden sinkenden Lebensdauer neu errichteter Serienaufzüge."
Aus dem Konzern in die Selbstständigkeit
Mitten in der Corona-Krise gründeten die beiden Elektromeister Marc Hottenrott (l.) und Lucas Günter ihr Unternehmen G & H Aufzüge. Foto: © G & H AufzügeUnd dann gibt es noch die Existenzgründer, die den Schritt in die Selbstständigkeit wagen – zum Beispiel, weil ihr bisheriger Arbeitgeber an einen Konzern verkauft wurde und sie aus verschiedenen Gründen nicht mehr dort arbeiten wollen. Ein Beispiel von vielen ist die Firma G & H Aufzüge. Mitten in der Krise gründeten die beiden Elektromeister Marc Hottenrott und Lucas Günter ihr Unternehmen im badischen Ettlingen. Das mittelständische Aufzugsunternehmen, für das sie zuvor gearbeitet hatten, war an einen Konzern verkauft worden.
"Wir haben uns dort nicht mehr wohl gefühlt", sagt Marc Hottenrott: "Trotz des Risikos hat es uns gereizt, unser eigener Chef zu sein und die Entscheidungen selbst zu treffen." Inzwischen laufen die Geschäfte so gut, dass das Unternehmen neue Mitarbeiter sucht.
Eigene Ideen einbringen und umsetzen
Der Maschinenbauingenieur Thorsten Meinel und der Mechatroniker Michael Cloßin haben am 1. September 2023 den Sprung in die Selbstständigkeit gewagt und ihr Unternehmen "Meinel & Cloßin Aufzüge GmbH" gegründet. Thorsten Meinel war bereits früher Mitinhaber einer Aufzugsfirma, die er gemeinsam mit seinem damaligen Partner an einen Konzern verkauft hat. Er verblieb bei der Firma. "Am Anfang war die Arbeit im Konzernverbund gut, aber zum Schluss wurden das Arbeitspensum und der Druck immer größer.
Irgendwann war das für mich nicht mehr zu schaffen. Ich habe keine Angst vor der Arbeit, aber das war am Ende nur noch negativer Stress." Thorsten Meinel kündigte, kurz darauf verließ auch sein damaliger Kollege Michael Cloßin das Unternehmen.
Beide waren sich dann im Anschluss einig: "Wir waren und sind ein gutes Team", und so kamen sie überein, sich mit einer Aufzugsfirma selbstständig zu machen. Gesagt, getan. Den Schritt haben sie nicht bereut: "Jetzt können wir unsere eigenen Ideen einbringen und umsetzen." Obwohl das Unternehmen noch so jung ist, sind die beiden Existenzgründer mit der derzeitigen Entwicklung sehr zufrieden, auch sie suchen schon weitere Mitarbeiter.
Kein Abschied vom Mittelstand
Haben den Sprung in die Selbstständigkeit gewagt: Thorsten Meinel (l.) und Michael Cloßin. Foto: © Martin Christ / Meinel & Closin AufzügeFest steht: Auch in Zukunft wird es weitere Meldungen geben, dass ein Mittelständler sein Unternehmen an einen Konzern verkauft hat. Das ist Marktwirtschaft und jeder hat das Recht zu entscheiden, was er mit seinem Betrieb machen möchte. Die Beispiele der Unternehmensgründungen und die zahlreichen Unternehmer, die weiterhin mit viel Einsatz ihren Betrieb weiterführen, zeigen jedoch, dass es immer noch Menschen in der Aufzugsbranche gibt, die trotz der derzeit schwierigen Rahmenbedingungen eine Zukunft in der Selbstständigkeit sehen.
Einen Abschied vom Mittelstand dürfte es damit (hoffentlich) nicht geben. Eine entscheidende Frage wird sein, welche Nische und Zukunftsstrategien die kleinen und mittelständischen Unternehmen finden werden, um sich am Markt zu behaupten.
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