Der Einsatz hochfester Faserseile in Aufzügen
Der Wissensstand über die Lebensdauer laufender Stahldrahtseile ist groß. Deshalb bietet ihr Einsatz in Treibscheibenaufzügen eine hohe Betriebssicherheit.
Bei Förderhöhen über 500 Metern sind Stahldrahtseile jedoch nicht mehr wirtschaftlich einsetzbar. Daher werden im Institut für Fördertechnik und Logistik (IFT) der Universität Stuttgart alternative Materialen für den Einsatz in Treibscheibenanwendungen erprobt.
Die Architektur entwickelt sich weiter, die Gebäude werden immer höher. Personenaufzüge sind derzeit durch das hohe Eigengewicht ihrer Tragmittel (Stahldrahtseile) bei einer Förderhöhe von etwa 500 Meter limitiert. Bei diesen Förderhöhen sind daher übereinander angeordnete Aufzugsgruppen erforderlich. Also muss der Benutzer umsteigen – das kostet Zeit, ist nicht sehr komfortabel und die Anlagekosten steigen ebenfalls deutlich.
Als Anschlagmittel bewährt
Der Einsatz von niederfesten Fasern wie beispielsweise Polyester hat sich bereits im Sport, in maritimen Bereichen, der Forstindustrie und als Anschlagmittel bewährt. Hochfeste Fasern aus Aramid, Flüssigkristallpolymer (TLCP) und hochmolekularem Polyethylen (HMPE) stellen den momentanen Stand der Technik dar.
Besonders Seile aus hochfesten Fasern sind mit Stahldrahtseilen konkurrenzfähig und übertreffen die Eigenschaften in einigen Punkten erheblich, was neue Möglichkeiten in der industriellen Anwendung eröffnet. Sie bieten gegenüber Drahtseilen eine eineinhalb- bis dreifach höhere Zugfestigkeit und zugleich ein sieben- bis achtfach geringes längenbezogenes Seilgewicht. Dadurch sind größere Förderhöhen realisierbar und die Reihenschaltung von Aufzugsanlagen wird überflüssig.
Traktionsbehaftete Dauerbiegeversuche durchgeführt
Warum kommen trotz der Vorteile von hochfesten Faserseilen überwiegend Stahldrahtseile in der Fördertechnik zum Einsatz? Das liegt an dem geringen Untersuchungs- und Erkenntnisstand über hochfeste Faserseile. Aufgrund dieses Forschungsdefizits vor allem zur Lebensdauer und der sicheren Erkennung der Ablegereife ist der Einsatz von Faserseilen als Tragmittel oft nicht zulässig.
So werden unter anderem in der aktuellen Richtlinie DIN EN 81-20 explizit Stahldrahtseile oder Stahlketten als Tragmittel für Fahrkörbe, Gegengewichte oder Ausgleichgewichte vorgeschrieben.
Um dem entgegenzuwirken, wurden am Institut für Fördertechnik und Logistik (siehe Kasten) der Universität Stuttgart (IFT) traktionsbehaftete Dauerbiegeversuche mit hochfesten Faserseilen durchgeführt. Dafür steht am IFT ein Großversuchsstand mit Treibscheibenantrieb und einem Hub von acht Metern zur Verfügung (Abbildung 1). Die Versuche dort haben das Ziel die eingesetzten hochfesten Faserseile im Blick auf Betriebssicherheit, Zuverlässigkeit, Komfort und Wirtschaftlichkeit zu bewerten.
Belastungen führen zu Materialermüdung
Über Scheiben laufende Seile werden durch eine Summe aus schwellender Biege- und Zugspannung, Pressung und Relativbewegungen der einzelnen Seilbestandteile zueinander belastet. Tragseile eines Treibscheibenantriebs unterliegen außerdem noch Reibverschleiß, der sich durch den Schlupf zwischen Seil und Rille ergibt.
Da Seile keine dauerfesten Maschinenelemente sind, führen diese Belastungen zu Materialermüdung und mit fortschreitendem Verschleiß zum Lebensende oder gar zum Riss des Seils (Abbildung 2). In technischen Systemen ist es daher umso wichtiger, die Ablegereife bzw. die Ablegekriterien des Seils rechtzeitig und zuverlässig zu erkennen und gegebenenfalls das Seil zu ersetzen. [1], [2]
Weitere Seilwerkstoffe und Seilkonstruktionen
Die Untersuchungen am IFT haben erste wichtige Erkenntnisse für den Einsatz von hochfesten Faserseilen in Treibscheibenaufzügen geliefert. Es wurde nachgewiesen, dass das Materialverhalten der hochfesten Fasern, der auftretende Schlupf und das Verhalten der Seil-Rille-Kombination beherrschbare Größen in der Versuchsdurchführung sind.
Im Mittelpunkt zukünftiger Untersuchungen sind vor allem weitere Seilwerkstoffe und Seilkonstruktionen sowie die eingesetzte Treibscheibe in Dimension, Rillenform und Werkstoff in großem Umfang. Weitere praxisrelevanten Forschungsthemen sind die Erhöhung der Nenngeschwindigkeit und Beschleunigung sowie die Untersuchung der auftretenden Seilschwingungen und Vibrationen bei großen Förderhöhen.
Marco Testa
Der Autor ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Abteilung Seiltechnologie am IFT.
www.uni-stuttgart.de/ift
[1] Berner, Oliver; Lebensdauer von Stahlseilen beim kombinierten Lauf über Treib- und Ablenkscheiben unterschiedlicher Rillenform, Stuttgart, 2011, Stuttgart.
[2] Wehking, Karl-Heinz; Laufende Seile: Bemessung und Überwachung; 3. Auflage, Renningen. Expert-Verl., 2005.
Das Institut für Fördertechnik und Logistik (IFT) der Universität Stuttgart befasst sich seit der Gründung im Jahr 1927 mit der Forschung im Bereich der Seiltechnologie. Die Schwerpunkte der Abteilung Seiltechnologie sind die Bereich Drahtseil, Faserseil, Persönliche Schutzausrüstung, Seilbahntechnik und Seilanwendung.
Es bietet Untersuchungen zur Ermittlung der Seillebensdauer in Dauerbiege- und Schwellversuchen, statische und dynamische Prüfungen, die Erstellung von Schadensgutachten, Sicherheits- und Risikoanalysen, die Seilbahntechnik sowie zerstörende und zerstörungsfreie Seilprüfungen.
Außerdem berät das IFT Industrieunternehmen sowie Betreiber von Anlagen und Bauwerken bei der spezifischen Anwendung von Seilen. Die Abteilung ist weltweit als Prüf- und Gutachterinstanz anerkannt. Für Seilprüfungen ist die über 1300 m² große Versuchshalle am IFT, das Seillabor, mit zum großen Teil eigenentwickelten Prüfmaschinen und -einrichtungen ausgestattet.
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